… ich weiß nicht, wer den Künstlerfaktor erfunden hat. Diese Richtgröße der Dummheit geistert seit Jahren durch die heiligen Hallen der Kunstwelt und wird von vielen – meist jungen und/oder unerfahrenen – Künstlern hochgehalten wie eine Monstranz. »Jeder soll nach seiner Fasson selig werden« sagte bereits Friedrich II. und in seinem Sinne darf selbstverständlich jeder, der sich mit einem Künstlerfaktor schmücken will, dieses auch tun.
Der Künstlerfaktor soll eine Aussage darüber treffen, wie wertvoll das Werk eines Künstlers ist. Er versucht den Anschein einer Objektivität zu erwecken und verschleiert somit seine Subjektivität, die von wem auch immer herbeihalluziniert wird. Er entbehrt jeder vernünftigen Grundlage und ist ganz einfach unwissenschaftlicher Humbug. Der Künstlerfaktor ist ebenso entscheidend für die Berechnung eines Kunstwerkes und die Berechnung des Wertes eines Künstlers, wie die Länge des Gliedes oder der Umfang der Brüste entscheidend sind für den Wert der daran hängenden Menschen. Der Künstlerfaktor erinnert mich nicht ohne Grund an einen typischen Schwanzvergleich: … und wie groß ist Deiner?
Die große Frage: »welchen Preis nehme ich für ein Kunstwerk?« ist ohnehin gegenstandslos, da die Käufer entscheiden, was sie für Kunst zahlen wollen, und weder Künstler noch Kunsthandlungen oder ein wie auch immer gerarteter Künstlerfaktor können daran etwas ändern. Schon die Ansicht, ein Künstler mit Studienabschluss wäre mehr wert als einer ohne einen solchen zeugt erinnert eher an Menschenhandel als an Kunstsinn- oder gar Kunstverständnis. Nach diesem Verständnis wären Bilder von van Gogh billiges Zeug.
Schon die von Künstlerfaktor entblößte Grundformel »Länge plus Breite« hat keinen Wert. Was soll das heißen? Messe ich die Länge nun in Metern, in Zentimetern oder Millimetern oder sollte ich, um eine akzeptable Preisspanne zu erreichen, nicht doch lieber Mikrometer nehmen? Humbug ohne jeden Wert. Zuzüglich Künstlerfaktor, ist es Humbug ohne Wert².
Was dieses alberne Gehabe auslöst, lässt sich in vielen Kunstausstellungen betrachten. Im Wahn des Irrglaubens an die Berechnung eines Preises nach diesen Faktoren tendieren die Vergewaltigungen der Leinwände in immer größere Dimensionen der Dummheit. Ist der Künstlerfaktor klein, müssen die Bilder entsprechend größer sein.
Da lungern am Ende mit Farbe beschmierte oder beworfene (abstrakte Kunst … wissen schon) Schinken mit monströsen Ausmaßen herum, für die keine Sau Platz hat. Ohne jede andere künstlerische Aussage als: Kauf mich, ich habe den Größten! Ziehen wir dann die Verkaufsprovisionen ab, müssen die Bilder noch größer werden. Gigantomanie ohne Kunst. Mal ehrlich: wer einen Raum sein eigen nennt, der 3x2m-Bilder fasst und oder gar nur für eines reserviert ist, der hat so viel Kohle, dass er sicher nicht überdimensionierte Werke eines unbekannten Künstlers kauft. Und selbst wenn: ist ein solcher Preis einmal erzielt, ist man in der Regel verbrannt für alle kunstinteressierten Käufer, die nicht zur oberen Schicht des Geldadels gehören.
Und dann setzen wir der Dummheit die Krone auf und schwandronieren von einem Künstlerfaktor? Leute, lasst euch nicht von den Marketingstrategen vorführen. Na klar ist jeder Preis willkürlich. Die Frage ist doch: willst Du verkaufen oder nicht? Und wenn ja, an wen? Und wer entscheidet, ob der Künstlerfaktor richtig ist?
Kunst ist nicht wertvoll, weil sie auf großen Leinwänden oder von Künstlern mit hohem Künstlerfaktor geschaffen wurde, sondern … weil sie eben Kunst ist. Der Kunst ist der Künstlerfaktor schnurz piepe.
Es gibt im Verkauf eine lehrreiche Geschichte: Steht ein Mann auf dem Marktplatz. In seinem Bauchladen Schnürsenkel zum Preis von 10.000€ das Paar. Fragt eine Dame: »Das kauft doch keiner?« Sagt der Verkäufer: »Aber wenn!«
Liebe Künstler: macht, was immer ihr wollt … macht gute Werke, verwendet einigermaßen gute Zutaten, und backt keine Kuchen, die so groß sind, dass sich Käufer nicht nur einen neuen Tisch, sondern gleich eine neue Wohnung kaufen müssen. Und welchen Konditorfaktor sich der Konditor und meinetwegen auch die Konditorin zumaßen, ist einfach völlig egal. Der Kuchen muss schmecken … und wenn man viele Kuchen verkaufen möchte, sollte sich der Preis in den Grenzen des guten Geschmacks halten.
Nichts ist peinlicher als die Halluzination eines scheinbar angemessenen Künstlerfaktors, der mangels Akzeptanz auf den Boden der Realität zurückgeholt wird. Der Künstlerfaktor ist ebenso aussagekräftig wie Likes oder Followerzahlen. Du kannst ja Deinen Farbendealer oder Vermieter fragen, ob er sich mit Deinem Künstlerfaktor statt Geld zufrieden gibt.